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Ein Haus und ein Auto

Autorenbild: Fahrni NicoleFahrni Nicole

Aktualisiert: 5. März



Heute habe ich ein neues Wort auf Swahili gelernt: polepole. Es bedeutet "langsam" oder "Schritt für Schritt". Ich mag dieses Wort. Es hat etwas Beruhigendes, etwas, das zum Atemholen einlädt und einem zum Schmunzeln bringt. Ironisch nur, dass unsere ersten Tage hier in Kenia alles andere als polepole waren. Sie waren mehr "schnell schnell", fast schon hektisch, und dabei beeindruckend effizient. Heute ist erst unser fünfter Tag in Nanyuki und wir haben bereits eine neue kenianische Telefonnummer organisiert, ein Auto gekauft und ein Haus gemietet. Eben, ich sag's ja: polepole ist noch nicht unser Modus - hier läuft alles auf "schnell schnell."


Am Dienstag hatte ich eigentlich mit einem eher ruhigen, fast langweiligen Tag im Kongoni Camp Hotel gerechnet. Lorenz wollte zum ersten Mal ins örtliche Büro gehen, und ich sah mich schon mit meinem tolino E-Reader am Pool liegen, die Sonne geniessen, vielleicht ein bisschen Energie tanken für die kommenden Tage. Vorher stand noch ein kurzer Stopp bei Safaricom an - eine SIM-Karte kaufen, kein grosses Ding. Danach trennten sich unsere Wege: David, unser Fahrer, brachte Lorenz ins Büro, und ich liess mich zurück zum Hotel chauffieren, bereit für einen relaxten Tag.

Doch die Ruhe hielt genau bis zum ersten Telefonat. Noch während ich gedanklich meinen Bikini und Sonnenhut zusammensuchte, rief Lorenz an: In 15 Minuten würde ich wieder abgeholt werden - wir könnten zwei Häuser besichtigen. Zwei! Ich tauschte den Bikini gegen Alltagskleidung, griff nach meiner Tasche und schaffte es gerade noch rechtzeitig, beim Parkplatz zu stehen, als David vorfuhr.


Es stellte sich heraus, dass Tony, der Master-Organisator des Wyss Academy Hub East Africa, uns spontan eine zusätzliche Hausbesichtigung organisiert hatte. Die erste Adresse war nur drei Gehminuten vom Büro entfernt - praktisch, geräumig, mit einem schlichten Charme. Nicht schlecht, dachte ich. Keine Wow-Momente, aber durchaus solide.

Die zweite Besichtigung war etwas völlig anderes. Dieses Haus hatten wir bereits von der Schweiz aus auf upperhouse.co.ke entdeckt und uns per Mail über einen Besichtigungstermin erkundigt. Schon als David das Auto durch das Eingangstor lenkte, spürte ich wie mein Herz schneller schlug. Die lange Einfahrt, das saftige Grün des Gartens, dann das Haus selbst: Es tauchte Stück für Stück vor uns auf, wie ein Geburtstagspäckli, das man langsam auspackt. Und in dem Moment, als wir es ganz sahen, wussten wir es: Das ist es. Es war Liebe auf den ersten Blick! :)


Obwohl unsere Herzen längst entschieden hatten, wollte der Kopf das Haus natürlich noch genauer inspizieren - schliesslich sollte es unser Zuhause für die nächsten Monate werden. Es war ein Maisonette-Haus mit grossen Fenstern, die viel Tageslicht hereinliessen und den Blick in den Garten öffneten. Es fühlte sich an, als könnte die Sonne selbst darin wohnen. Es gab ein Hauptschlafzimmer und drei weitere Schlafzimmer - perfekt für Besuch aus der Schweiz <3

Der Garten war riesig, wie eine kleine Oase, mit Fruchtbäumen wie Avocado, Granatapfel und Guave. Sogar eine Hollywood-Schaukel gab es. Wir konnten uns direkt vorstellen, dort gemütlich sitzend mit einem Glas Wein in der Hand den Tag ausklingen zu lassen, während irgendwo im Hintergrund Grillen zirpen und ein leichter Wind durch die Bäume streicht.

Das Haus hatte insgesamt die perfekte Mischung aus Geräumigkeit und Gemütlichkeit - genau das, was uns beim ersten Haus gefehlt hatte.

Mit den Maklern vereinbarten wir, uns bis zum Abend zu melden. Auf dem Rückweg zum Büro beschlossen Lorenz und ich, die Eindrücke wirken zu lassen - insgeheim wussten wir jedoch beide, dass es das zweite Haus werden würde.



Zurück im Büro fragten uns Kollegen, ob wir zum Mittagessen mitkommen wollten. Nach kurzem Blickwechsel sagten wir zu - unser Magen knurrte ohnehin schon. Gemeinsam mit Richard und Anthony liefen wir zu Fuss ins Restaurant Sotet, das nur zehn Minuten entfernt lag. Es war ein lokales Restaurant - wie aufregend! Ich war auch ein bisschen nervös - was würde es hier wohl zu Essen geben, fragte ich mich, und waren mein Magen und ich schon ready dafür?

Es war super, Richard und Anthony bei uns zu haben. Kaum waren wir vor dem Restaurant angekommen, wurden sie bereits erkannt - sie kamen oft hierher und kannten den Ort bestens. Das Restaurant war ein kleines, gemütliches Lokal mit etwa sechs Tischen unter einem kreativ gezimmerten Blechdach. An den Wänden hingen Bilder kenianischer Landschaften, und von der Decke baumelten wunderschön verzierte Kalabasse - traditionelle kenianische Gefässe. Dass diese Kalabasse nicht bloss zu dekorationszwecken dort hingen, fanden wir bald heraus, als Richard und Anthony ein traditionelles Getränk bestellten mit dem Namen "Mursik" - ein Drink aus fermentierter Ziegenmilch. "Ab und zu ein Mursik und du bist nie krank", lachte Richard. Wir lernten auch gleich, dass diese Art von Kalabassen, in denen Mursik fermentiert wird, sotet heisst -, da ergab auch gleich der Name des Restaurants Sinn.

Richard und Anthony halfen uns bei der Auswahl des Mittagsmenüs - etwas, das für europäische Mägen in den ersten Tagen nach der Ankunft gut verträglich ist. Die Wahl fiel auf Pilau - ein würziges Reisgericht mit Wurzeln an der ostkenianischen Küste. Dazu bestellten wir Cola - für Mursik fühlten wir uns an diesem Tag noch nicht bereit. Beim Essen nehme ich mir "polepole" gerne zu Herzen :)

Aber das Pilau war fantastisch - die perfekte erste kulinarische Begegnung mit Kenia.


Nach dem Mittagessen trennten sich unsere Wege. Lorenz ging zurück ins Büro, und ich hatte vor, bei den schattigen Tischen neben dem Hotelpool an einem Blog-Artikel zu schreiben. Doch es kam noch einmal anders: Nach etwa einer Stunde - ich hatte mich gerade eingerichtet und mit dem Schreiben begonnen - klingelte mein Telefon erneut. Lorenz rief mich an und berichtete mir aufgeregt, dass der Tag noch nicht zu Ende sei und wir noch Autos anschauen gehen können. Was? Autos auch schon? Es fühlte sich an, als hätte uns jemand in einen Film geworfen, in dem wir die Hauptrolle spielen, ohne das Drehbuch zu kennen.


Wenige Minuten später war ich also wieder unterwegs, diesmal zur Cedar Mall. Tony hatte einen Termin mit einem Autohändler organisiert. Es ging alles Schlag auf Schlag. Lorenz und ich kamen mit dem Kopf kaum hinterher. Gleichzeitig waren wir unglaublich dankbar für die wertvolle Unterstützung, die wir erhielten. Kevin, der Verkaufsleiter der Autogarage, gab uns einen kurzen Überblick über die verfügbaren Autos. Viele wurden von Japan importiert. Es gab eine Auswahl verschiedenster Marken und Modelle, darunter VW, Toyota, Suzuki, Honda, Nissan,...

Tony kannte sich aus und half uns bei der Erstausscheidung: Der Toyota Landcruiser Prado war definitiv zu gross für uns, der kleine Honda Jazz in der Ecke war zu klein und nicht ausreichend geländegängig. Der VW Tiguan kam von der Grösse her in Frage, war jedoch zu teuer für uns. Schliesslich blieben wir vor einem schwarzen Nissan X-Trail stehen: geräumig, geländegängig, mit Automatikgetriebe und innerhalb unseres Budgets. Wir durften das Auto ausführlich begutachten, uns hineinsetzen und alles testen. Es fühlte sich gut an. Wir vereinbarten eine Testfahrt für den nächsten Tag.


Lorenz auf dem Fahrersitz des Nissan X-Trail
Lorenz auf dem Fahrersitz des Nissan X-Trail


Als Lorenz und ich aus dem Autogeschäft hinaus zum Parkplatz liefen, warfen wir uns einen dieser Blicke zu. Nicht zu lang, nicht zu kurz. So ein Blick, der sagt: "Passiert das hier wirklich?" Alles fühlte sich ein bisschen an wie in einem überdrehten Trailer - viele Schnitte, schnelle Übergänge, ohne Plan, was am Ende dabei rauskommt. Wir konnten es beide kaum fassen. Ein Haus, ein Auto - beides schien bereits so greifbar, fast zu perfekt, um wahr zu sein.

Zurück im Hotelzimmer sassen wir erstmal wortlos da, starrten an die gegenüberliegende Wand und versuchten, die letzten Stunden irgendwie abzuspeichern. Aber wie speichert man einen Tag, der sich anfühlt wie drei? Unser neues Leben hatte gerade erst angefangen, und doch standen wir schon mitten drin. Polepole? Ein Wort, das wie ein stiller Zuschauer neben uns stand, die Arme verschränkt und uns kopfschüttelnd und schmunzelnd beobachtete.


In den nächsten Tagen liefen wir weiter im Überholmodus. Wir jonglierten mit Terminen: Makler hier, Landlord da, und irgendwo dazwischen auch noch eine Testfahrt mit dem Nissan X-Trail. Der Wagen fuhr sich gut, sowohl auf Asphalt als auch Offroad auf den Staubpisten, von denen es hier in Kenia viele gibt. Dass der Bordcomputer auf Japanisch war? Geschenkt. Unser Gehirn war sowieso schon im Multitasking-Modus, da würde sich eine neue Sprache auch noch dazwischenschieben können.


Am Donnerstag dann der Endspurt: Mietvertrag unterschreiben, Bankgespräche führen, und zwischendurch Mittagessen im Sotet. Diesmal wagte ich mich an Ugali, das kenianische Nationalgericht schlechthin, das aussieht wie ein unentschlossenes Püree, und nach Tradition schmeckt. Lorenz bestellte Ghiteri, ein Gericht aus Mais und Bohnen - so bodenständig, wie die kenianische Erde selbst. Irgendwie war das Essen wie ein kleiner Anker in all dem Chaos. Ein Moment, in dem die Dinge langsamer wurden. Fast schon polepole.




Jetzt sitze ich hier, auf der Hollywood-Schaukel vor "unserem" Haus, während der Nissan X-Trail brav in der Einfahrt parkt. Es ist Freitagnachmittag, und ich versuche, die letzte Woche in meinem Kopf zu ordnen. Es ist ein bisschen, als würde man ein Puzzle zusammensetzen, bei dem die Ränder fehlen und ständig neue Teile dazukommen. Ausserdem wirkt alles noch etwas surreal, wie ein Gemälde von Salvador Dali, das man immer wieder betrachtet, weil man nicht genau weiss, was es eigentlich darstellen soll und man ständig neue Feinheiten entdeckt.


Aber ich weiss, dass wir hier ankommen werden. Stück für Stück. Schritt für Schritt. Polepole. Morgen gehen wir in die Innenstadt, um ein paar Dinge zu besorgen, die dem Haus Leben einhauchen und uns sagen: "Ihr seid angekommen."


Bis bald, Nicole


1 Comment


zezbi
Jan 18

Liebe Nicä

Der Bericht eurer ersten Woche ist mega spannend zu lesen. Ich werde ihn am Montag auch Werner zeigen. Er wird sich freuen.

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