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Dialoge im Land of Hope - Persönliche Eindrücke und Gedanken zum zweitägigen Stakeholder-Workshop

Autorenbild: Fahrni NicoleFahrni Nicole

Aktualisiert: vor 6 Tagen



"Dialogue, and not guns, is the path to peace."


Der Satz prangt in dicken, weissen Lettern auf der Rückseite eines leicht verwaschenen T-Shirts. Der Mann, der es trägt - der "Community Chief" - hatte sich aus seinem Plastikstuhl erhoben und mit elegantem Schwung seinen Veston ausgezogen. Applaus hallt durch den Raum, vereinzeltes Kopfnicken, zustimmendes Gemurmel. Ein Satz, so einfach und doch so kühn. Worte, die nachhallen in einer Region, in der es oft genug die Gewalt war, die das letzte Wort hatte.


Ich sitze mittendrin, in einem Workshop der Wyss Academy for Nature und der Mukutan Conservancy, am westlichen Rand von Laikipia. Ein Gemeindezentrum mit dem hoffnungsvollen Namen Land of Hope, umgeben von trockener, rotbrauner Erde, die im Sonnenlicht staubt und wuchernden Büschen. Der Raum ist gefüllt mit Menschen, die sonst selten gemeinsam an einem Tisch sitzen: nomadische Viehhirten, Conservancy-Manager, Wissenschaftler*innen, NGO-Vertreter. Ungewohntes Terrain für alle.


Wir sprechen über Land. Über Weideflächen, die nicht immer reichen. Über Regen, der ausbleibt. Über Herden, die immer grösser werden, während das Gras weniger wird. Ich höre zu, mache mir Notizen, versuche, möglichst viel vom dem zu verstehen, was hier teils in Swahili teils in Englisch diskutiert wird. Die Region rund um die Mukutan Conservancy ist ein Flickenteppich aus Nutzungsrechten, Besitzansprüchen, Traditionen - und Spannungen.

Die Mukutan Conservancy ist ein Rückzugsort für Wildtiere, aber sie ist auch das letzte grüne Versprechen für Viehherden in langen Dürrezeiten. Wenn das Gras ringsum vertrocknet, ziehen die Pastoralisten mit ihren Herden hierher. Tausende Hufe verdichten den Boden, konkurrieren mit den schutzbedürftigen Wildtieren. Der Druck steigt - und mit ihm die Konflikte. 2021 war die Lage so angespannt wie nie. Eine anhaltende Dürre, dazu politische Unruhen vor den Wahlen, und plötzlich war der Streit um Weideland mehr als nur ein Streit.


Jetzt, drei Jahre später, liegt das Gras vielerorts wieder weich unter unseren Füssen. Der Regen war gnädig. Ein trügerischer Frieden? Vielleicht. Aber es ist der Moment, um nach vorn zu blicken. Bevor die nächste Dürre kommt. Bevor die Dinge sich wiederholen.

Ich sehe mich im Raum um. Eine junge Frau spricht leise, aber bestimmt. Ein älterer Mann mit wettergegerbtem Gesicht und farbiger Mütze reibt sich das Kinn. Jemand notiert eifrig mit einem Stift. In der Ferne höre ich das leise Meckern einer jungen Ziege.


Dialogue, and not guns...Worte sind nicht genug, das wissen alle hier. Aber sie sind ein Anfang. Und was für einer!


Neugierig, inspiriert und demütig zugleich lausche ich den Diskussionen zwischen Menschen, die sich vor wenigen Jahren noch als Feinde gegenüberstanden. Jetzt sitzen sie hier, im Land of Hope, an einem Gartentisch, der in einem halb offenen Raum steht. Über ihren Köpfen hocken zwei Tauben, die sich, scheinbar unbeteiligt, die Gespräche anhören. Im Raum nebenan findet Primarschulunterricht statt. Ab und zu sind dumpfe Stimmen zu vernehmen oder das sanfte Trippeln vieler kleiner Füsse.

Die Menschen hier im Raum schauen sich an, hören zu, und dann sprechen sie. Sie erläutern einander ihre Perspektiven. Es ist heiterer als ich erwartet habe. Alle kommen zu Wort, alle werden gehört. Niemand spricht über den anderen hinweg. Und ich? Ich beobachte still. Fasziniert, fast ehrfürchtig. Kein neues Wissen wird von aussen hineingetragen. Stattdessen - durch geschickte, behutsam gestellte Fragen - wird das bereits vorhandene Wissen der Beteiligten zugänglich gemacht. Jeder, der hier sitzt, trägt ein Stück der Lösung in sich. Die Fragen, die gestellt werden, öffnen Türen. Sie schaffen einen Raum, in dem Wissen und Erfahrung zusammentreffen.


Passend zum "Land of Hope" beginnen die ersten Gespräche mit hoffnungsvollen Zukunftsvisionen. Was könnte möglich sein, wenn die Menschen in dieser Region gemeinsam nach Lösungen suchen? Wie würde eine Zukunft aussehen, in der alle einander respektieren und in Frieden miteinander leben? Wie fruchtbar könnte der Boden sein, gäbe es mehr Austausch und mehr Weidemanagement? Die Visionen fliessen zunächst zögerlich, aber voller Optimismus. Es fallen verheissungsvolle Schlagworte: "Community Cohesion", "Coexistence of Nature and People", "Empowering Women", "Preservation and Restoration of Nature", ...


Dann kommen die Probleme auf den Tisch. Sie werden benannt, eins nach dem anderen. Sie werden diskutiert, notiert und dann in Themenblöcke geordnet. Es geht darum, die Schlüsselfaktoren zu finden, die die Konflikte in der Region anheizen. Wir sprechen über unzulängliche Bildung, fehlende Infrastruktur, mangelnde Kommunikation und über die Folgen des Klimawandels. Letztere sind hier deutlich spürbar. Das Niederschlagsregime ist im Wandel, der Regen bleibt immer häufiger und immer länger aus. Und wenn der Regen kommt, dann regnet es heftiger als gewohnt.


Kurze Vorträge im Plenum wechseln sich ab mit lebendigen Gruppendiskussionen. Der Raum bleibt in Bewegung, mit Köpfen, die sich einander zuwenden, Stühlen, die rücken, und leisen Gesprächen, die sich durch den Raum weben. Dabei spüre ich, wie die Menschen nach und nach auftauen. Zunächst war da eine leise, fast spürbare Anspannung. Ein Zögern. Ein Unbehagen. Ein Sich-Abwägen, wie viel von sich selbst man in diese Gespräche einbringen kann. Doch mit jedem Austausch, jedem Lächeln, jedem Lacher und jeder Teepause löst sich diese Anspannung ein kleines Stück.

Manchmal wird nachgehakt, dann wird gestaunt. Neue Perspektiven kommen zum Vorschein. Manchmal trifft der Blick eines Teilnehmenden auf einen anderen, und in diesem Augenblick wird klar, wie viel mehr es gibt, das sie verbindet, als das, was sie trennt. Sie sind sich ähnlicher, als sie es sich je hätten vorstellen können. Der Raum, der anfangs noch von Unbehagen durchzogen war, beginnt sich zu füllen mit einer anderen Energie. Eine Energie der Hoffnung. Der Überzeugung, dass Veränderung möglich ist, aber auch der Erkenntnis, dass diese Veränderung nur dann nachhaltig ist, wenn sie aus den gemeinsamen Erfahrungen wächst, die hier und jetzt geteilt werden.



Ich sitze im "Land of Hope" und höre den Dialog um mich herum. Ich bin fasziniert. Was ich bislang in meinem Studium nur in Theorie gekannt und gelernt habe, spielt sich hier in Realität ab. Dass Gespräche und Dialog in Konfliktsituationen vielversprechend und bedeutsam sind, ist wohl den meisten klar. Aber welche Kraft tatsächlich in einem Dialog zwischen Konfliktparteien stecken kann und welche Emotionen dabei geweckt werden können, das spüre ich zum ersten Mal. Dieses Gefühl eines aufflammenden Hoffnungsschimmers bewegt und berührt.

Als die Workshopteilnehmenden beginnen, sich über Lösungen Gedanken zu machen, und vielversprechende und teils mutige Lösungsideen von den Gruppen präsentiert und schwarz auf weiss vorne an der Wand aufgehängt werden, fühlt es sich an, als würde der Boden unter unseren Füssen sanft beben. Dort vorne an der Wand stehen mehr als nur ein paar Worte und Begriffe, es sind gemeinsame Hoffnungsträger für eine nachhaltigere und friedlichere Zukunft. Zuversicht und Stolz lese ich in den Gesichtern der Teilnehmenden. In meinem Gesicht liest sich Bewunderung und Demut.


Demut darüber, dass ich hier dabei sein darf und miterlebe, wie mächtig und zukunftsweisend ein strukturierter und konstruktiver Dialog sein kann. Gleichzeitig will ich hier nicht ein überromantisches Bild zeichnen. Umgesetzt ist noch nichts und die Ausgangslage bleibt auch nach dem heutigen Workshop-Tag komplex und anspruchsvoll. Da gibt es keine Shortcuts. Lösungen, die auf der Hand liegen, clashen teilweise mit kulturellem Erbgut. Die Zahl der Tiere pro Herde reduzieren? Viele hier im Raum sehen ein, dass dies ein entscheidender Hebel auf dem Weg zur Verbesserung darstellt. Also, umsetzen? Nicht so easy. Immerhin gilt die Grösse der Viehherde unter nomadischen Viehhirten als Mass für Reichtum und Prestige. Eine grosse Herde signalisiert Status, Macht und Einfluss. Das Vieh ist eine Form von "lebendem Bankkonto". Darüber hinaus dient das Vieh als Mitgift bei der Heirat und bestimmte Tiere gelten als heilig oder glücksbringend und stehen im Mittelpunkt traditioneller Zeremonien und Riten. Nein, Viehhirte zu sein ist hier mehr als nur Beruf. Es ist ein Way of life, der alle Bereiche des Lebens durchdringt. Die Grösse der Viehherde reduzieren bedeutet für viele, dass sie in ihrer Kultur und in ihrem Lebensstil beschnitten werden.


Und gerade deshalb bin ich besonders fasziniert, wie offen und konstruktiv darüber diskutiert wird. Es zeigt, die Menschen haben verstanden, dass sich etwas bewegen muss und dass es bedeutet, dass jeder einzelne der hier versammelten Menschen über den Tellerrand hinausblicken muss. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif, um in diesem Bereich grosse Schritte zu machen. Aber zumindest scheint es kein Tabu zu sein, darüber zu sprechen. Und es gibt ja noch mehr wirkungsvolle Hebel in diesem System. Das hat der Workshop gezeigt. Überhaupt hat der Workshop eindrucksvoll gezeigt, dass das Landnutzungssystem zwar komplex und vielschichtig ist, jedoch durchaus Raum für kollaborative Lösungen bietet. Diese können nicht nur für mehr Klarheit und Flexibilität sorgen, sondern auch entscheidende Impulse für eine nachhaltige Entwicklung setzen. Wenn diese Impulse nicht nur Impulse bleiben, sondern durch weiterführende Gespräche in konkrete Massnahmen übergehen, dann war dieser Ort tatsächlich mehr als nur ein Land of Hope - dann wurde er zu einem Land of Change.


Und all das wurde angestossen durch etwas so Einfaches wie die Bereitstellung einer Plattform für offenen Dialog. Dialogue, not guns, are the path to peace...

So simpel erscheint es mir in diesem Moment: Dialoge führen. Betroffene an einen Tisch bringen. Doch paradoxerweise leben wir in einer Zeit, in der digitale Netzwerke mehr Austausch ermöglichen denn je - und doch ist unsere Gesellschaft so isoliert und polarisiert wie kaum zuvor. Anstatt miteinander zu reden, reden wir übereinander, gegeneinander und aneinander vorbei. Andere Meinungen werden nicht mehr gehört, sondern reflexartig gekontert, "geshamed" oder "gebashed". Wir swipen weg, ignorieren, statt zuzuhören, und stellen uns taub gegenüber allem, was nicht in unser eigenes Weltbild passt.

Früher sassen Menschen noch am Stammtisch zusammen, sahen sich in die Augen, stritten, diskutierten - aber begegneten sich. Heute verstecken wir uns allzu häufig hinter Bildschirmen und anonymen Usernames. Wut entlädt sich in Kommentarspalten, während echter Dialog verstummt. Fakten weichen Ideologien. Worte verbinden nicht mehr, sie spalten.

Doch hier im Land of Hope, spüre ich: Es geht auch anders. Wir können es noch. Wenn Menschen einander wirklich zuhören, entsteht Raum für Veränderung. Dialog ist mehr als ein Austausch von Worten - er ist der Beginn von Bewegung. Ein Startschuss, um gemeinsam vorwärts zu kommen.


Auf der vierstündigen Heimfahrt nach Nanyuki lasse ich die Eindrücke noch einmal in mir nachklingen. Hoffnung, Inspiration und Neugier vermischen sich zu einer leisen Zuversicht. Wie wird es weitergehen mit der Gemeinschaft in und um die Mukutan Conservancy? Ich bleibe gespannt. Vielleicht entwickelt sich daraus mehr als nur eine hoffnungsvolle Geschichte - vielleicht wird es ein wegweisendes Beispiel dafür, dass Naturschutz im Einklang mit der lokalen Gemeinschaft nachhaltig gelingen kann.


Während die Landschaft an mir vorbeizieht, hallt ein Satz in meinem Kopf nach: Dialogue, not guns, are the path to peace

Worte, die hier mehr sind als nur ein Spruch auf einem verwaschenen T-Shirt. Sie sind eine Einladung, eine Erinnerung - und vielleicht der wichtigste Anstoss für Veränderung.









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